Eine ganze Woche ist seit den letzten Blogeinträgen vergangen, eine ganze Woche, in der so vieles, und gleichzeitig viel zu wenig passiert ist. Seit acht Tagen verbringe ich jede freie Minute vor dem Computer und verfolge über verschiedene Kanäle die Situation in Cairo. Seit acht Tagen wechseln sich Hoffnung, Aufregung und die Furcht vor dem, was kommen mag in Ägypten und im gesamten Nahen Osten. Seit acht Tagen versuche ich Freunde in Cairo zu erreichen, und kaum jemand antwortet. Von anderen Freunden weiß ich, dass sie sich mitten unter den tausenden von Menschen befinden und miterleben, wie Geschichte geschrieben wird. Neid einerseits und viel Bewunderung, aber auch Sorge. Natürlich.
Was zur Zeit in Ägypten passiert, übersteigt meine kühnsten Vorstellungen. Vor knapp 9 Monaten noch war ich dort, habe einige Monate dort gelebt, bin jeden Tag spazieren gegangen dort, wo sich heute zwei Millionen Menschen um Panzer scharen, am Midan at-Tahrir, dem Platz der Befreieung. Ein Platz, der mitnichten diesen Namen verdient hat – Platz. Bis jetzt. Bis jetzt war es ein riesiger Kreisverkehr, tagtäglich verstopft von hunderten von Autos. Und jetzt – ein Platz, ein Ort der Versammlung, für hunderte, tausende Menschen.
Die deutsche Presse und die deutschen Medien im allgemeinen haben bei der Berichterstattung der letzten Tage nicht gerade eine Glanzleistung hingelegt. Viel zu spät, viel zu langsam, über weite Strecken nur marginal bis gar nicht informierte Korrespondenten. Kaum eine der Einschätzungen in der letzten Woche ging über vage Aussagen wie „Man kann nicht genau sagen, was jetzt passieren wird“ hinaus. Kein einziger deutscher Sender war live dabei, als Hosni Mubarak am letzten Freitag seine lang erwartete (und dann so zynisch klingende) Rede gehalten hat. Wer das sehen wollte, musste auf den live stream von CNN zurück greifen. Wer informiert sein will hierzulande, griff und greift auf englische und internationale Medien zurück. Al Jazeera streamt nach wie vor live aus Cairo, der britische Guardian hat seit den ersten Stunden des Protests einen hervorragenden Live-Blog eingerichtet, der Informationen aus verschiedensten Quellen zusammen trägt und aufarbeitet. Journalisten vom Guardian sind unter den Demonstranten, liefern o-Töne. Mohamed ElBaradei, einer der größten Hoffnungsträger in Ägypten zur Zeit, gibt sein erstes und exklusives Interview dem wunderbaren Robert Fisk des britischen Indipendent.
Man fragt sich – wo sind die deutschen Medien? Wo die deutsche Außenpolitik? Man sieht keinerlei Haltung, nur Zögern. Woran liegt das?
Das einzige Thema, was sowohl deutsche Politik wie Medien gleichermaßen intensiv aufzugreifen scheinen, ist das Thema „Muslimbrüderschaft“. In der Berichterstattung wird die Angst geschürt, diese Proteste könnten sich ganz leicht in eine Islamische Revolution verwandeln, und die Muslimbrüder warteten nur darauf, die Herrschaft über Ägypten zu übernehmen. All die Bilder, Berichte von Menschen vor Ort und Einschätzungen internationaler Experten sprechen jedoch dagegen. Es heißt, sobald religiöse Parolen in der Menge gerufen werden, bringe man sie zum Schweigen. Die Menschen wollen Freiheit und Demokratie, und sie scheinen sehr genau zu wissen, was das ist. Sie brauchen nicht uns, den arroganten Westen, dem vor Angst schon die Knie schlottern, weil er fürchtet, die „Wilden“ könnten Demokratie mit religiöser Autokratie verwechseln.
Lediglich Stefan Weidner zeichnet sich in seinem Text im aktuellen Qantara Magazin einmal mehr als einer der klügsten und kenntnisreichsten Beobachter des Nahen Ostens aus.
Ich werde weiterhin den Menschen in meinem geliebten Land dabei zusehen, wie sie um ihre Freiheit kämpfen, werde hoffen und mir wünschen, dass dies nicht ein zweiter Iran, ein zweiter Libanon wird, dass Mubarak einsieht, dass seine Zeit vorbei ist und dass dieses starke, stolze und mutige Volk in freien und gerechten Wahlen einen Präsidenten und eine Regierung wählen kann, die seiner würdig sind und es in eine bessere Zeit führt.
Und ich werde weiter hoffen und mir wünschen, dass nicht mehr viel Zeit vergeht, bis ich zurück fahren und wieder über einen mit Autos verstopften Midan at-Tahrir spazieren und mich mit den Menschen in Zamalek, Mohandessin und Agouza unterhalten und die Geschichten von einer erfolgreichen Revolution hören kann.
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