Montag, 16. Januar 2012

Top Goon - Muppet des Grauens

Je stärker der Druck zu schweigen, je kreativer und lauter die Stimmen. In Syrien produziert der Aktivist Jameel seit November die Fingerpuppenshow "Top Goon" - Tagebuch eines kleinen Diktators. Hauptfigur ist Beeshu (unschwer zu erkennen, wer hier gemeint sein könnte).



Klassisches Kabarett mit Fingerpuppen als Form des Protests? Warum? "Wir brauchen nicht noch mehr Bilder von blutenden, sterbenden Menschen, wir müssen den Leuten Mut machen. Und wir müssen das Regime der Lächerlichkeit preisgeben." Dass die Opfer der Proteste nicht nur Zahlen, sondern Menschen sind, das will er zeigen, weil er selbst schon Freunde verloren hat in den letzten Monaten.

Inzwischen produziert Jameel, der mit dem Projekt "Top Goon" sein Leben riskiert, seine Clips in der Türkei. "In Syrien ist es schon gefährlich, ein Telefon mit Kamera zu besitzen - geschweige denn ein ganzes Kamerateam."


Sonntag, 15. Januar 2012

Von wegen Hölle

Was ich an Berlin unter anderem so mag, ist die Tatsache, dass man vor allem am Wochenende selten weiß, wie und wo ein Abend endet, wenn man irgendwann das Haus verlässt. Mit anderen Worten: Lass dich überraschen!

Gestern war ich auf Anraten von Freunden im Haus der Kulturen der Welt zum Meeting Points 6 Festival of Arab Arts, um unter anderem einer Podiumsdiskussion mit Adania Shibli und Ahdaf Soueif zuzuhören und ein bisschen Kunst zu sehen. Habe ich dann auch gemacht, war toll und spannend - mehr dazu hier demnächst!

Wie das so ist, trifft man dann vor Ort aber Freunde, die dann für den weiteren Abend noch andere spannende Dinge geplant haben. Ich hab mich dann einfach mitnehmen lassen ins HAU 1 zum Tanztheater "Hell on Earth". "Ich weiß auch nicht so genau, was das ist, aber soll super sein!", sagt die Freundin, die mich ins Schlepptau nimmt. Ausverkauft - interessiert uns nicht, wir gehen trotzdem und haben Glück! Und ZUM GLÜCK!

Das Stück von Constanza Marcas beleuchtet Themen wie Aufwachsen zwischen zwei (und mehr) Kulturen, Integration, Migration und Rollenverteilung mit so viel Energie, Selbstbewusstsein und Chuzpe wie ich es noch nie gesehen habe! Wo so viele andere auch "Hochkultur"- und Akademie-Veranstaltungen nicht selten an Kitsch, Klamauk und Peinlichkeit scheitern, passiert in "Hell on Earth" was ganz seltenes und fantastisches: Man wird mitgerissen! Man lacht, man wird unterhalten, es gibt kein erzwungenes Moment des Mitgefühls von oben herab, wie man es sonst so gern praktiziert sieht - hier ist Ironie und Selbstironie am Werk, ohne dass auch nur für einen Moment die Ernsthaftigkeit des Themas in Zweifel gezogen wird! Das unterstreicht mal wieder meine These - die einzige Möglichkeit, Denksysteme zu verändern, ist Humor.

Wer übrigens den ziemlich tollen Dokumentarfilm "Neukölln Unlimited" gesehen hat, wird in "Hell on Earth" zwei bekannte Gesichter sehen - neben anderen Jugendlichen aus Neukölln singen und tanzen die Geschwister Laial und Maradonna Akkouch, um die es in der Doku geht, hier mit auf der Bühne.



Ganz schlimm leider und natürlich sind übrigens die Kommentare unter dem Clip. Das wäre noch mal nen eigenen Blogeintrag wert ... Naja, an anderer Stelle.

Leider ist "Hell on Earth" für den Moment erstmal in Berlin abgelaufen, aber ihr solltet auf jeden Fall Augen und Ohren nach neuen Terminen offen halten! Und dann hingehen! Grandios!


Freitag, 13. Januar 2012

Happy Birthday DIVA

Ein ganzes Jahr mit Umwälzungen in vielen arabischen Ländern ist vergangen! Und ein Jahr West-Östliche Diva auch! Eine Woche, ehe in Ägypten die große ثورة losging, ging die Diva online - und hatte auf einen Schlag schon ganz, ganz viel zu berichten! 
Ich freu mich riesig über das positive Feedback und sage Danke! Und freu mich noch viel mehr auf das nächste Jahr! Es wird bestimmt nicht ruhiger werden! 

In diesem Sinne - Happy Birthday to me!




Mittwoch, 11. Januar 2012

Neuer Geist, alte Flaschen

Was Weihnachtsfeiern für den Dezember, sind Neujahrsveranstaltungen für den Januar. Und als mir die Einladung zum Neujahrsempfang der Deutsch-Arabischen Gesellschaft ins Haus flattert, merke ich auch gleich auf - das Programm kündigt neben den üblichen Grußworten, Musikdarbietungen und Gutmenschentum auch einen Vortrag von Rachid Al-Ganouchi, dem Vorsitzenden der El-Nahda Partei, die in Tunesien kürzlich mit überwältigender Mehrheit die Wahl gewann und die als islamistische Partei verschrien ist. Ich bin interessiert, melde mich zusammen mit zwei Freundinnen an.

Schon als wir den Ort des Geschehens, den Französischen Dom am Berliner Gendarmenmarkt betreten, beschleicht uns ein leicht beklemmendes Gefühl. "Ich fühle mich sehr bürgerlich", raunt mir meine Begleitung ins Ohr. Viele sehr gediegene Menschen in Anzügen und Hosenanzügen sitzen um uns herum, wir ziehen den Altersdurchschnitt arg nach unten.

Es folgen Grußwort um Grußwort, und immer wieder sagt jemand "Arabien", "Orient"und anderen Orientalistenquatsch. Es wird der freie, demokratische Westen besungen und dem nun "endlich" auf dem rechten Wege folgenden "Arabien" ein Wort des "deutschen Revolutionsdichters Schiller" mit auf den Weg gegeben. "Und das in einem Land, wo gerade mehrere rassistisch motivierte Morde vertuscht worden sind", raunt meine Begleitung mir wieder ins Ohr.

Dann schon die große Enttäuschung: Rachid El-Ganouchi hat die Teilnahme an der Veranstaltung abgesagt. Mist. Der Grund, warum wir hier sitzen. Hmpf.

Es erklingt ein Flügel und eine wirklich gute Sopranistin gibt ein Mozartlied zum Besten. Mozart? Na gut, meinetwegen ... Während sie noch singt, lesen wir mal das Programmheft etwas genauer. Und reißen irgendwo zwischen ungläubig und amüsiert die Augen weit auf. Von einem "Jahrhundertereignis", der "Volkserhebung in Arabien" ist da die Rede, die "alle vorgefassten Meinungen über angebliche Lethargie und Demokratieunfähigkeit" widerlegt. Und dann kommt es: "Der Geist ist aus der Flasche!" -- Ja, das steht wirklich da! Flasche, Geist, Orient - der Zusammenhang ist klar, ne? Orientalismus pur, im Jahr 2012, post "Widerlegung vorgefertigter Meinungen", und das im Rahmen einer Veranstaltung von Menschen, die es doch eigentlich besser wissen sollten ...

Nun denn. Wir beschließen, in der Pause zu gehen, wollen aber noch die Podiumsdiskussion mit Peter Scholl-Latour und Ulrich Kienzle abwarten. Moderiert von Daniel Gerlach. Ja. Richtig. Auf der Bühne sitzen 3 weiße Männer, die die politischen Umwälzungen im Nahen Osten diskutieren. Keine Frau, kein Mensch aus einem arabischen Land. Drei. Weiße. Männer.

Zu Scholl-Latour kann man geteilter Meinung sein, das sehe ich ein; aber ich gehöre zu den Menschen, die irgendwie mit ihm aufgewachsen sind, im Arbeitszimmer meines Vaters reihen sich seine Bücher aneinander, und man muss dem heute immerhin fast 90-Jährigen doch mindestens als Verdienst zugute halten, dass er den Deutschen die Welt erklärt hat, als die meisten höchstens mal mit dem Auto nach Italien gefahren sind. Vor einer Weile habe ich mal ein Interview gelesen, in dem er sagte, er habe zwei Jahre zuvor, da war er 82, das letzte Land auf der Welt bereist, in dem er noch nicht gewesen war. Der Mann war in jedem einzelnen Land auf der Welt ... Ich kann nicht anders, so was beeindruckt mich. Auch wenn er nach heutigem akademischen Verständnis wahrscheinlich schon als klassischer Orientalist eingestuft werden müsste. Ulrich Kienzle hingegen, das wusste ich auch vorher schon, hat wirklich Ahnung, betont immer wieder, wie wichtig Differenzierung vor allem im Vokabular ist.

Die Diskussion bringt uns allen inhaltlich nicht viel, wissen wir alles schon, was Neues haben sie uns nicht erzählt. Gern hätte ich Herrn Kienzle gefragt, wie viel Widerstand er geleistet hat, als sein Verlag sein neues Buch "Abschied aus 1001 Nacht" genannt hat - wo ihm doch Differenzierung so wichtig ist.

Wir gehen. "Ja, das war doch mal erfrischend, so viel Mainstreamorientalismus!", sagt jemand auf dem Weg zur U-Bahn.
Fazit: Der Geist ist aus der Flasche, wenn 3 weiße Männer über Arabien diskutieren!

Dienstag, 10. Januar 2012

Eine Briefmarke für Palästina

Ein verspätetes frohes neues Jahr euch allen! Und der gute Vorsatz, die Diva wieder lebendiger werden zu lassen! Es ist viel los in Arabistan!

Zum Neuen Jahr hier gleich ein ganz wunderbares Projekt! Der palästinensische Künstler Khaled Jarrar hat mit seinem Projekt "Live and Work in Palestine" bereits große Erfolge gefeiert. Er entwarf ein symbolisches Wappen für den freien Staat Palästina und reist seither um die Welt und stempelt an den verschiedensten Orten Pässe mit seinem Palästinawappen, das den "Palestine Sunbird" zeigt.

Bei der diesjährigen Berlin Biennale wird er sein Projekt auch in Deutschland vorstellen und sicher auch Pässe stempeln. Außerdem hat er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht und das Logo auf Briefmarken drucken lassen, die man sich nun über die Berliner Biennale per Mail bestellen kann. Ein Bogen umfasst 20 Marken a 55 Cent (kann man ganz normal verwenden!) und kostet 16,-€ 



Ich habe meine schon bestellt und bin gespannt auf die Biennale (27.4.-1.7.2012). Werde auf jeden Fall meinen Pass mitnehmen - so einen Palästinastempel bekommt man ja nicht alle Tage!!