Samstag, 26. Februar 2011

Geschichten aus einem fernen Königreich.

In einem mal wieder wunderbaren Artikel beschreibt Robert Fisk das, was derzeit im Nahen Osten vor sich geht, als die erschütterndste, lebhafteste und gleichzeitig (für den Außenstehenden) lähmendste Zeit seit dem Osmanischen Reich. „Schock und Ehrfurcht“ seien die richtigen Worte, meint er.
Und neben den inzwischen seit Wochen anhaltenden revolutionären Bewegungen und Unruhen blickt Fisk in seinem Text auch auf Saudi Arabien
Ich selbst schaue auch nach Saudi Arabien. Da lebt meine arabische Familie, Onkel, Tanten, jede Menge Cousinen und Cousins, mit vielen haben wir engen Kontakt.
Und ich bin wirklich furchtbar neugierig, was sie dort von den Ereignissen in Nahost (Fußnote: Lieber Spiegel Online, ES GIBT KEIN LAND, DAS ARABIEN HEISST!!!! Das ist der Nahe Osten!! Ich wäre sehr dankbar, wenn man im 21. Jahrhundert nicht mehr über diese orientalistischen Termini stolpern würde. Danke.) - also, von den Ereignissen in Nahost halten, was sie davon überhaupt mitbekommen, wie die Weltlage überhaupt dort rezipiert wird.
Aber mit Saudis über Politik reden, das ist schwer. Zum einen natürlich, weil in einem Land, in dem eine absolute Monarchie regiert, auch strengste Zensur und damit keinerlei Debattenkultur herrscht. Denn Diskutieren will ja auch gelernt sein. Unterhaltungen über Themen wie zum Beispiel das Fahrverbot für Frauen verlaufen dann meistens so:
Ich: „Aber wieso dürfen Frauen denn bei euch immer noch nicht Auto fahren?“
Cousine: „Das steht so im Gesetz. Sie wollten es schon vor einer Weile ändern, aber bis jetzt ist noch nichts passiert.“
Ich (schon leicht rot angelaufen): „Aber das geht doch nicht! Da müsst ihr doch was gegen unternehmen! Aus welchem Grund sollten Frauen nicht fahren dürfen?!“
Cousine (stoisch): „Vielleicht ändern sie es ja dieses Jahr.“
Und so wird es jedem gehen, der einmal versucht hat, mit einem Saudi über soziale oder politische Gegebenheiten in dem Land zu diskutieren. Stoisch wird mit den Schultern gezuckt (stoisch, oder doch phlegmatisch …), nein, es ist besser, wenn man sich nicht einmischt, das bringt nur Unbequemes mit sich. Außerdem, und das darf man natürlich nicht außer acht lassen, darf man ja seine Meinung gar nicht sagen. Auf freie öffentliche Meinungsäußerung stehen Geld- und Gefängnisstrafen.

Und bequem hat es trotz eiserner Monarchie ein Großteil der Bevölkerung noch immer. Dem sehr beliebten König Abdallah gelingt es (noch), durch sein Weihnachtsmann-Regime mittels Geld zumindest provisorisch die Wunden der saudischen Gesellschaft zu verarzten. Erst in der vergangenen Woche hat der König nach dreimonatiger Abwesenheit wegen medizinischer Behandlung in den USA sein Volk anlässlich seiner Rückkehr mit einer ziemlich großen Summe bedacht. „Ein Geschenk an das Volk“ sei das, und solle soziale Maßnahmen wie zum Beispiel Arbeitslosenversorgung, Wohnungsbau und Ausbildung investiert werden.

Doch unter der Oberfläche brodelt es schon seit einer Weile. Bevölkerungswachstum und damit einhergehende Arbeitslosigkeit und Armut gehen auch an einem der reichsten Länder der Erde nicht vorbei. Erst vor wenigen Wochen haben hunderte Männer still in der Hauptstadt Riyadh protestiert. Denn 2011 ist schon das zweite Jahr in Folge, in dem das ganze Land durch massive Regenfälle nahezu zum Stillstand gekommen ist. Mangelnde Bauweisen und eine nahezu nicht vorhandene Kanalisation führten zu schlimmen Überschwemmungen und Schäden an Häusern und Straßen. Menschen konnten nicht zur Arbeit oder aus ihren Büros, Schulen oder Universitäten, sie übernachteten tagelang in Hörsälen und Krankenhäusern. Nachdem die Überschwemmungen schon im letzten Jahr mehrere Tote gefordert haben, hatte das Königshaus zugesagt, in Straßen- und Kanalbau zu investieren und Schäden zu beheben. Es geschah nichts, und die Szenen von 2010 wiederholten sich.
Sowohl westliche und arabische Journalisten wie auch Blogger aus Saudi Arabien selbst fragen sich, wie groß das revolutionäre Potential im Magischen Königreich wirklich ist, und wirken allesamt unsicher. Klar scheint allen zu sein, dass das Erdbeben, das den Nahen Osten erfasst hat, auch an Saudi Arabien nicht spurlos vorbei gehen kann und wird. Doch eine so wuchtige „Thaura“ wie in Ägypten, die erwartet wohl keiner auf den Straßen von Jeddah oder Riyadh. Doch das Königreich ist zu komplex, zu kompliziert sind die Machtstrukturen des Hauses Sauds mit dem Rest der Welt, als dass sich eine halbwegs zuverlässige Prognose abgeben ließe.

Natürlich spielt Öl eine große Rolle, und Amerika und Europa und allerlei internationale diplomatische Verstrickungen. Davon verstehe ich aber nicht viel, vor allem nicht von Öl. Aber ich weiß, dass die Saudis ihren König im Allgemeinen und diesen König im Besonderen sehr respektieren und auch verehren. Das Volk ist konservativ, nicht nur was seine Auslegung des Islam angeht, sondern auch und vor allem in seinen Werten und Vorstellungen. Sie halten den König für weise und für den Mann, der schon am besten wissen wird, was gut ist für sein Volk. Viele fürchten, wer oder was auf den sehr modern eingestellten Abdallah folgen wird. Und so lange noch genug Geld für die ein oder andere Finanzspritze da ist, werden sich wohl die kleineren Proteste schnell zum Schweigen bringen lassen.
Schwierig wird es erst, wenn das mal nicht mehr geht, oder wenn der über 80-jährige König einem vielleicht weniger großzügigen Herrscher Platz machen muss.
Sollte Abdallah nicht jetzt schon, im Zuge dieses Panarabischen Frühlings, anfangen, sein junges Volk (über 40% sind unter Dreißig) in Richtung Demokratie zu erziehen? Könnte man als erste Maßnahmen die Zensur lockern, öffentliche Debatten erlauben und sogar fördern, ebenso wie die Formierung von politischen Parteien erlauben, sodass, wenn es – in vermutlich nicht allzu ferner Zukunft – zu einem Wechsel an der Spitze des Königreiches kommt, das Volk umgehen kann mit einer vielleicht etwas längeren Leine? Oder sind diese Ideen und Ansätze zu humanistisch, zu demokratisch? Wann weiß man, wann ein Volk reif ist für Demokratie? Bei uns hat es mehr als hundert Jahre gebraucht von den ersten Ansätzen bis zu einer voll funktionsfähigen Republik.

Was zur Zeit im Nahen Osten vor sich geht, ist vermutlich die spannendste, weitreichendste politische Entwicklung seit dem Ende des kalten Krieges. Was seit ein paar Wochen in Nordafrika und im arabischen Mittelmeerraum geschieht, wird die Welt verändern, das ist inzwischen keine Neuigkeit mehr. Dass Saudi Arabien dabei eine zentrale Rolle spielen wird, auch nicht. Umso spannender wird es sein, sich weitreichender und tiefer mit diesem seltsamen, geheimnisvollen Wüstenreich zu beschäftigen.
Als (zugegeben sehr weiten) Bogen kann ich hier allen Interessierten noch einmal Robert Fisk ans Herz legen, und sein Opus Magnum, „The great war for civilisation“, dass es leider und wie ich finde, völlig unverständlicherweise bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Vielleicht sollte ich mich mal an die Arbeit machen ….  

Montag, 21. Februar 2011

Ein bisschen medienversöhnt. Aber nur ein bisschen.

Nachdem Mubarak nun schon über eine Woche seinen Posten geräumt hat und die Revolution nun in die nächste, anstrengende Phase geht, nachdem Gaddafi in Libyen grade sein halbes Volk abschlachtet und mal wieder kaum Empörung von Politik, Öffentlichkeit und Medien zu hören ist, nachdem die Mehrheit der Menschen Bahrein immer noch auf der Landkarte suchen, kommen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ganz allmählich aus ihrem Winterschlaf und holen nach, was sie schon vor Wochen hätten beginnen müssen. Sie versuchen zumindest, zu informieren. Manchmal sogar ganz gut
Einen Beitrag, den ich sehr gelungen finde für ein populäres Kulturformat, ist dieser hier von Titel Thesen Temperamente.  Der Schriftsteller Alaa Al-Aswany und der ägyptische Intellektuelle Amr Hamzawy machen deutlich, dass die Situation im Nahen Osten von uns bisher bewusst ignoriert worden ist, und dass man sich nur wundern kann, dass wir uns wundern. Schön.
Überhaupt, ich empfehle jedem, der sich jetzt oder auch schon früher für Ägypten und insbesondere für Kairo interessiert, Alaa Al-Aswanys Roman Der Jakubijan-Bau. Ein schönes Stück gut lesbare Literatur über die ägyptische Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Gibt's auch als sehr sehenswerten Film, allerdings nur in arabischer Sprache und mit englischen Untertiteln.

Samstag, 12. Februar 2011

Was ich mir von der Revolution wünsche

Wie ein Krimi, wie ein Traum war das die letzten drei Wochen. Wer hätte das gedacht, noch vor einem Monat oder zweien? Ein Mann, der sich dreißig Jahre lang an einer Staatsspitze festgezeckt hatte, der sein Land und seine Menschen unterdrückt, gefoltert, geknebelt und ausgeblutet hat – dieser Mann ist nicht mehr. Zumindest nicht mehr auf seinem Stuhl. Und seine Menschen, diese gefolterten, geknebelten und ausgebluteten, die haben es geschafft, mit unglaublicher Würde, Ausdauer, Frieden und Schönheit, was niemand für möglich gehalten hat.
Ich bin immer noch ganz überwältigt von den Bildern der letzten Wochen und der vergangenen Nacht. Ich, die ich zwar dem Pass nach keine Ägypterin, aber dem Genpol nach zumindest Araberin – ich fühle mich ohnehin seit ein paar Jahren und seit gestern erst recht im Herzen diesem Land und diesen Menschen zugehörig.
Ich hatte so viel Glück bisher in meinem Leben, und wenn sich meine Eltern vor zwanzig Jahren anders entschieden hätten, wäre ich vielleicht auch in einem totalitären Regime groß geworden und würde da leben, wo es ein großer Teil meiner Familie noch heute tut.
Und deshalb gehen meine Wünsche, die ich an diese Revolution habe, auch über Kairo, über Masr und die arabische Welt hinaus.
Ich wünsche mir, dass niemand von uns diese Bilder je vergisst, diese Freude, diesen Optimismus, diesen unbedingten Siegeswillen im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit. Unser so typisch deutscher Zynismus, unsere Miesepetrigkeit hat zumindest für den Moment hier wirklich keinen Platz! Ich wünsche mir dieses Gefühl der Einigkeit, des füreinander Einstehens und Kämpfens für eine gemeinsame Idee auch hier, bei uns, wo kaum jemand Kraft und Lust hat, für etwas zu kämpfen, und sich meistens schämt, etwas zu fühlen.
Ich wünsche mir, dass diese Revolution für Ägypten gut ausgeht, dass der 11. Februar als der Tag in die Geschichte eingeht, an dem in „Umm ad-Dunya“ (Mutter der Welt – wie man Masr dort nennt) die Demokratie eingekehrt ist, und nicht als der Tag, an dem ein Depot den anderen abgelöst hat.
Ich wünsche mir, dass wunderbare Dichter und Denker frei reden, schreiben und sich mitteilen können, auch, damit wir sie hier bei uns endlich zu hören bekommen.
Ich wünsche mir, dass der Funke überspringt nach Palästina, dass sich auch da die Jugend ohne Waffen befreien kann.
Ich wünsche mir, dass wir im Westen unsere Freiheit mehr schätzen und jeden Tag zumindest einen Moment lang dafür dankbar sind.
Ich wünsche mir, dass Thilo Sarrazin sich beim Anblick der Bilder aus Cairo in Grund und Boden schämt für seine bodenlosen, blasierten Dummheiten, die ihm Millionen gebracht haben. Da konnten Kopftuch- und Bartträger wohl doch 'n bisschen mehr als Gemüse und Döner verkaufen!!!
Und zu allerletzt wünsche ich mir sobald wie möglich ein Flugticket nach Cairo, um es in die Arme zu schließen von der Dachterrasse aus, auf der ich letztes Jahr schon über dem Nil getanzt habe.
Und zu guter Letzt noch das Bild, das für mich diese letzten Tage geprägt hat und mir immer wieder die Tränen in die Augen treibt. (ich wollte eigentlich mehrere Bilder zusammen stellen, aber ich konnte mich nicht entscheiden ... es wäre unendlich geworden. also nur dies eine ...)
Und damit ist dann auch erstmal genug von der Revolution ... vorerst.
Auf dem Schild steht: "Shokran ya Shabab Masr - Danke, ihr jungen Menschen von Ägpten"

Freitag, 11. Februar 2011

Zur Feier des Tage: Klang der Freiheit - deutscher Text



 ALF MABROOOOOOOOOOK, YA MASR!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!



Seit ein paar Stunden kursiert dieses, wie ich finde, wunderbare Video im Netz, wo ein paar junge Kreative  einen eingängigen Song aufgenommen haben, der ziemlich genau die Stimmung wider zu spiegeln scheint, die am Midan at-Tahrir herrscht.
Hier der Text auf Deutsch (übersetzt von mir, auf die Schnelle):

Sout el Horreya - Klang der Freiheit

Ich bin rausgegangen, hab gesagt, ich komm nicht wieder,
Und hab auf alle Straßen mit meinem Blut geschrieben,
Wir haben die, die nie zuhören, gezwungen, zuzuhören,
Und alle Verbote durchbrochen,
Unser Träume sind unsere Waffe,
Und unser "Morgen" steht schon vor uns!
Wir warten schon so lange,
Haben gesucht und nie unseren Platz gefunden,

In allen Straßen meines Landes
Klingt der Klang der Freiheit

Wir halten den Kopf hoch in den Himmel
Und unser Hunger kümmert uns nicht mehr
Das Wichtigste sind unsere Rechte
Wir schreiben unsere Geschichte nun selbst mit unserem Blut.
Und wenn du einer von uns wärst,
Würdest du uns nicht befehlen, zu gehen und unseren Traum zu vergessen,
Und würdest aufhören, immer nur "Ich" zu sagen.

In allen Straßen meines Landes
Klingt der Klang der Freiheit.

Bisschen was für die Tränendrüsen

Ich weiß, das ist schon ne Nummer drüber, aber ich hab trotzdem geheult ....!!! انشالله الحلم بيتحقق


Hollywood? Oder doch noch Revolution?

Eigentlich hatte ich gestern vor, hier endlich mal wieder etwas zu schreiben, dass nichts mit der Situation in Ägypten zu tun hat. Immerhin bin ich ja hier kein Nachrichtenticker, und inzwischen kann man sich ja sogar in deutschsprachigen Medien ganz gut informieren. Auch wenn ich weiterhin eher AlJazeera English, BBC, CNN und dem Guardian vertraue, kann man bei der Süddeutschen, Spiegel Online, der taz und sogar bei der verschnarchten ARD gute Dinge lesen.
Außerdem hätte ich gestern sogar einen aktuellen, persönlichen und freudigen Anlass gehabt, hier eine schöne Geschichte zu schreiben. Eine meiner Lieblingscousinen in Saudi Arabien hat nämlich gestern geheiratet, und ich hätte gern bei dieser Gelegenheit meine Erlebnisse bei der letzten saudischen Hochzeit, die ich im Oktober 2010 besucht habe, hier mit euch geteilt. Naja, beim nächsten Mal.
Aber dann hing ich doch wieder bis um ein Uhr in der Nacht vor dem AlJazeera Livestream und habe Cairo geguckt. Inzwischen muss man sich ja fragen, ob da nicht vielleicht Hollywood seine Finger im Spiel hat und den Menschen eine riesige Tragikomödie mit echten Darstellern bietet. So wie bei Wag the Dog, dem Film, der weltpolitischen Zynismus so furios in Szene setzt.
Seit den frühen Abendstunden hatte man also gestern darauf gewartet, dass Präsident Mubarak zu seinem Volk spricht. „All eure Forderungen werden erfüllt werden“, sagte ein Armeesprecher in einer TV-Ansprache. Überall las und hörte man plötzlich, dass sich Rücktrittshinweise verdichten sollten, Obama gab sich euphorisch, die Leute im Tahrir versammelten sich in Riesenmengen, um die größte Party in der Geschichte des Nahen Ostens zu feiern.
Und dann das. Um ca. 22 Uhr unserer Zeit tritt der Tattergreis vor die Kameras und gibt erneut den enttäuschten Vater, wiederholt im Grunde fast wörtlich, was er in seiner letzten Rede gesagt hat, mit kleinen Abweichungen. Schon nach den ersten Minuten der Rede, in denen klar wurde, hier spricht nicht einer, der sich gleich ins Flugzeug nach Dubai setzt und sich auf nimmer Wiedersehen verabschiedet, wurden die Pfiffe, Buh-Rufe und wütende Parolen auf dem Tahrir immer lauter. Die Leute sind nun unfassbar und zu Recht und verständlicherweise wütend. Man fragt sich wirklich, wie verblendet Präsident und sein Vize Omar Suleiman, der kurz darauf vor die Kameras trat, sein müssen. Den Menschen jetzt, zu diesem Zeitpunkt zu sagen: „Geht nach Hause, geht an die Arbeit, das Land braucht euch“ ?? Man fragt sich auch, wer hat diese Rede geschrieben.
Heute also geht der Protest weiter, in seinen 17. Tag, und es sollen mehr Leute werden denn je. Mir persönlich macht das große Angst. Das kann ja nur in einer Katastrophe enden. Wenn heute wieder hunderttausende Menschen in Cairo Downtown ihre Rechte fordern und Mubaraks Sturz herbei wünschen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass es zu noch mehr und noch schlimmerer Gewalt kommt als nach Mubaraks letzter Ansprache. Er wird dann seinen internationalen Kritikern zurufen: „Was wollt ihr denn, ich habe doch Zugeständnisse gemacht! Die Leute sind irrational, von internationalen Medien verblendet und wollen nicht auf ihren Übervater hören. Da hilft nur die Peitsche!“ Außerdem, und das hat er ja gestern klar gemacht, lässt er sich sowieso von niemandem etwas sagen. Weder von außenstehenden Mächten, noch von seinem Volk, wie's scheint. 
Er wird bleiben, bis er das Drehbuch für eine weitere gefälschte Wahl im September fertig gebastelt und die Regierungsverantwortung seinen Zöglingen übergeben hat, und er wird auf ägyptischem Boden sterben. Als alter Militärmann ist es wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass er diesen seinen Entschluss immer wieder betont. Aber das Ausmaß von Sturheit, das diese Männer gestern einmal mehr an den Tag gelegt haben, das wird ab heute immer gefährlicher. Den Demonstranten bleiben ja nicht mehr viele Möglichkeiten. Das Staatsfernsehen sollten sie besetzten, schrieb gestern jemand auf Facebook. Mit einem gecharterten Helikopter auf dem Dach landen und so die Sicherheitskräfte vor den Toren umgehen. Schöne Idee. Ich sag ja – Hollywood.
Es kann eigentlich nur noch das Militär entscheiden. Das Militär, das ohnehin seit Wochen Puffer und Zünglein an der Waage ist.
Es bleibt zu hoffe, und mehr als hoffen kann ich nicht, dass alles doch noch gut ausgeht. Wer hat den längeren Atem, wer sitzt am längeren Hebel?  

Mittwoch, 9. Februar 2011

Applaus für Democracy Now!

Einmal mehr muss ich hier betonen, wie viel besser und tief gehender sich der geneigte Leser und Zuschauer über die Ereignisse in Ägypten und überhaupt derzeit im Nahen Osten in internationalen,  in erster Linie englischsprachigen Medien informieren kann.
Das Portal Democracy Now! gehört für mich ohnehin, aber in den letzten 16 Tagen ganz besonders zu den besten Quellen in Sachen Nahostpolitik. Die Aufbereitung der Beiträge und das Tempo der Verbreitung sind eigentlich nur mit Al Jazeera English teilweise  vergleichbar.
In diesem sehr eindrücklichen Beitrag berichtet Human Rights Watch-Mitarbeiterin Heba Morayef nicht nur von der schwierigen Recherche was die Opferzahlen der Proteste angeht, sondern gibt auch einen guten, tiefen Einblick (um nicht zu sagen Ausblick) auf das neue Interims-Regime unter Omar Suleiman. Einmal mehr frage ich mich, warum solche Beiträge nirgendwo in deutscher Übersetzung vorliegen, nicht einmal auf der deutschen Seite von Human Rights Watch selbst.
Wenn ich mir hier und jetzt etwas wünschen dürfte von den deutschen Medienanstalten, Zeitungen und Portalen: Seid nicht so geizig, wenn es um Übersetzungen und qualitativ hochwertige und engagierte Berichterstattung geht! Leute, seht ihr nicht, was ihr hier alles gerade verpasst!!

Dienstag, 8. Februar 2011

Happy Birthday, Revolution

Vor genau zwei Wochen, am 25. Januar, begannen die Proteste in Kairo, und seither habe ich fast ununterbrochen am Computer geklebt, um die Ereignisse so gut es ging zu verfolgen. Das war und ist nicht immer ganz einfach, zum einen wegen der schon erwähnten verschlafenen deutschen Medien, zum anderen wegen der zeitweise abgeschnittenen Internet- und Telefonverbindungen in Ägypten. Tagelang habe ich keine Nachricht bekommen von Freunden vor Ort, erst seit Donnerstag habe ich inzwischen von den meisten gehört, dass es ihnen gut geht, habe gehört, wer an den Protesten teilgenommen hat und wie es inzwischen auf den Straßen aussieht. Schließlich musste ich mich zwingen, mich ein paar Tage vom Internet und dem Verfolgen der Nachrichten abzulenken, um ein bisschen Distanz aufbauen zu können. Die Bilder und Berichte hatten mich zu sehr mitgenommen.
Inzwischen sind ein paar Tage vergangen und es ist Zeit für eine persönliche Zwischenbilanz. 
Einerseits blutet mir das Herz, wenn ich sehe, dass die Straßen und Plätze, auf denen ich vor nur wenigen Monaten gelebt, gearbeitet und viel Zeit verbracht habe, nun umringt sind von Panzern, Militärs und teilweise schwer bewaffnete Menschen sich dort einfinden. Ich habe immer gern in Kairo gelebt, vor allem, weil ich mich nie unsicher oder bedroht gefühlt habe. Zum anderen aber rühren mich die Bilder und machen mich stolz, dieses Land und seine Leute, die so tapfer kämpfen, und sagen zu können, da sind auch meine Freunde dabei. Und am liebsten, das können sich einige sicher vorstellen, wäre ich selbst auch dabei!
Eine Frage, die ich in den letzten Tagen oft gestellt bekommen habe von Freunden, Verwandten und Lesern, ist: „Sag mal, war das wirklich so ein schlimmer Diktator? Das wusste ich gar nicht.“
Um es mit einem Wort zu sagen: Ja. Hosni Mubarak ist ein Despot, der um jeden Preis und mit allen Mitteln an seiner Macht schon seit Jahrzehnten festhält. Ägypten ist ein Land, in dem offiziell genauso viele Menschen leben wie in Deutschland, mindestens 60 % von ihnen können nicht lesen oder schreiben, eine offizielle Arbeitslosenzahl gibt es nicht, schätzungsweise haben 50% der arbeitsfähigen Menschen aber keine Jobs, und Bestechlichkeit in Behörden, Zensur und Folter sind im Land an der Tagesordnung. Das Durchschnittseinkommen liegt bei unter zehn Euro im Monat, die Lebenserhaltungskosten hingegen sind vor allem in den letzten drei bis vier Jahren in schwindelerregende Höhen geschossen. Eine demokratische, nicht gefälschte Wahl hat es unter Mubarak vermutlich nie gegeben, Grundrechte wie das Recht auf Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht sind mittels der Notstandsgesetze seit 30 Jahren außer Kraft gesetzt. Mit dieser Regelung hat es Mubarak geschafft, ein Land Jahrzehnte lang in Schreckstarre zu halten. Hinzu kommt die selbst für Kenner und sogenannte Experten undurchschaubare Organisation der staatlichen Sicherheitskräfte, der Polizei, des Militärs und des Geheimdienstes. Paul Amar hat auf Al Jadaliyya hierzu eine hervorragende Analyse geschrieben, die man bei der FAZ auch in deutscher Übersetzung lesen kann (Hurra! Endlich finden auch unsere Zeitungen die richtigen Quellen!).
Dass sich seit zwei Wochen hunderttausende von Menschen gegen diese Schreckstarre stemmen und die Notstandsgesetze außer Kraft setzen, ist schlicht überwältigend und spricht nur für den enormen Druck und das unbedingte Verlangen nach Freiheit, das diese Menschen seit 30 Jahren unterdrücken mussten.
Dass wir hier im Westen nicht so viel davon wissen – wen wundert's. Ist doch Ägypten für die meisten von uns nur Ziel für den Tauchurlaub im Sommer, und Kairo sieht man nur vom Bus aus, wenn man mit dem Reiseveranstalter die Pyramiden besucht. Die meisten schwärmen von den „freundlichen, herzlichen Menschen“, hin und wieder hört man auch von Touristenabzocke, aber das stört ja dann doch nicht, solange man so schön baden und urlauben kann. Wer kann sich schon mal mit einem Taxifahrer in Kairo unterhalten, mit einem Journalisten oder mit einer einfachen Geschäftsinhaberin? In meinen Monaten in Kairo habe ich viele schlimme Geschichten von diesen Menschen gehört, aber auch gesehen und gelernt, dass sie trotz ihrer Situation immer versuchen, herzlich und lebensfroh zu bleiben. Umso mehr sind sie mir ans Herz gewachsen und umso mehr fiebere ich jetzt mit ihnen, wenn sie die Dinge einfordern, die für uns hier draußen so selbstverständlich sind.

Inwieweit das gelingen wird, hängt, und das wird in den letzten Tagen bedrückend deutlich, auch und besonders vom Verhalten der Vereinten Nationen ab. Selbstverständlich werde ich mir nicht anmaßen zu behaupten, ich könne die komplexen diplomatischen Zusammenhänge verstehen, die mit so einem erzwungenen Regimewechsel einher gehen, vollständig verstehen. Und selbstverständlich ist es nicht damit getan, Despot und Pharao Mubarak in die Saudische Wüste zu schicken und das Volk dann sich selbst zu überlassen. Niemand möchte einen zweiten Irak. Aber die Zögerlichkeit, mit der die UN im Fall der ägyptischen Revolution agiert, ist geradezu beängstigend. Selten ist deutlicher geworden, welchen Preis sich die großen Mächte ihren Machterhalt willentlich und wissentlich kosten lassen. Zynische Weisheit nennt das der Philosoph Slavoj Zizek in seinem Beitrag zum Thema.

Was nun seit einigen Tagen in Kairo an den runden Tischen passiert, muss man mit Sorge und Vorsicht beobachten. Nicht, weil die ach-so-gefährlichen Muslimbrüder (buhuu, das Schreckgespenst der deutschen Presse!!) mit in die Verhandlungen eingestiegen sind. Nein, weil nun ein Mann die Verhandlungen leitet, den Mubarak selbst dorthin gesetzt hat. Mit Omar Suleiman führt ein ehemaliger Geheimdienstchef nun das Land in seine so ersehnte Post-Mubarak-Ära. Aber wie viel Mubarak, wie viel altes Regime bringt er mit? Wie wahrscheinlich ist es, dass unter der Führung eines solchen Mannes und Kabinetts, das ebenfalls voll ist von Mubaraks politischen Zöglingen, freie Wahlen stattfinden können, dass Folter und Zensur ein Ende haben werden? Sollte man sich nicht wundern, dass trotz des neu eingesetzten Parlaments und des neuen Vizepräsidenten, der de facto als agierender Präsident gilt, weiterhin Journalisten (internationale, sowie ägyptische) verschwinden oder festgenommen werden? Ebenso Aktivisten und Mitarbeiter von NGOs wie Human Rights Watch? Ein sehr beeindruckendes Interview hat der junge Wael Ghonim hierzu gegeben. Er war der Admin der Facebook-Gruppe „We are all Khaled Said“, und hatte als erstes zu den Protesten am 25. Januar aufgerufen. Ghonim ist kurz nach Beginn der Proteste festgenommen und erst heute wieder freigelassen worden.
Ich jedenfalls bleibe skeptisch und finde es viel bedenklicher, dass Merkel, Clinton und co mit den von Mubarak selbst eingesetzten Männern in Verhandlung treten, als wenn sie es mit den Muslimbrüdern täten. 

Freitag, 4. Februar 2011

Nawal el-Sadawi bei den Protesten


Die Schriftstellerin und Aktivistin Nawal El-Sadawi, inzwischen ganze 80 Jahre alt, ist nicht bereit, sich vom korrupten Mubarak-Regime und seinen gekauften Schergen einschüchtern zu lassen. Eine beeindruckende, inspirierende Frau!!

Donnerstag, 3. Februar 2011

Bei ARD und ZDF sitzt kein Mensch in der ersten Reihe.

Während die Situation in Cairo seit gestern Mittag mehr und mehr zu eskalieren scheint, hat die verschnarchte deutsche Presse nur teilweise zu den weitaus schnelleren, kompetenteren und engagierteren internationalen Kollegen aufgeholt. Zumindest Spiegel Online hat inzwischen auch einen Liveticker eingerichtet, der jedoch in seiner Akkuratesse, Geschwindigkeit und Quellenvielfalt nach wie vor weit hinter den Liveblog des Guardian zurück fällt. Wo beispielsweise in den deutschen Medien, sei es Print, Netz oder TV, konnte man diese Bilder sehen, die Ausweise zeigen, die bei den sogenannten Mubarak-Verfechtern gefunden wurden. Polizeiausweise, Parteiausweise von Mubaraks Nationalpartei. Wo Kommentare lesen wie die von Jack Shenker, der gestern nicht nur Mohamed El Baradei interviewt, sondern auch mit Leuten gesprochen hat, die angeben, das man ihnen 100 LE (ca. 20 Euro) gezahlt hat, um in organisierten Schlägertrupps im Stadtzentrum Unruhe zu schaffen?
Während gestern um die Mittagszeit dutzende Männer auf Kamelen und Pferden in die Mengen der Demonstranten am Midan at-Tahrir geritten sind und die Menschen nieder geknüppelt haben, lief im ZDF eine Kochsendung. Über die Begründung, die offenbar seitens N24 und n-tv für dieses Versagen gegeben wird, ist mehr als nur hanebüchen: Mangelndes Zuschauerinteresse an einer Dauerberichterstattung. Danke, Fernsehen, dass du uns einmal mehr vorgibst, was wir sehen wollen!
Auch sogenannte Hintergrundberichte in Print und TV lösen bei mir und auch anderen Kollegen, die die Region gut kennen und regelmäßig darüber berichten, nur Kopfschütteln aus. Das letzte Beispiel hierfür ist die absolut peinliche Vorstellung bei Hart aber Fair gestern Abend. Kann mir mal jemand erklären, warum man immer, immer, immer, sobald irgendwo das Wort „Gottestaat“ fällt, Michel Friedman aus der Mottenkiste kramen muss?
Ein Anruf bei der Deutschen Welle hätte genügt, liebe ARD, und ihr hättet Studiogäste haben können, die die Situation im Nahen Osten nicht nur besser einschätzen können, sondern – ein entschiedener Vorteil gegen die meisten anderen Korrespondenten der Öffentlich-Rechtlichen – sogar die Sprache sprechen und vielleicht sogar ein bisschen mehr Interesse für ein Thema aufbringen, als Plasbergs Gäste, die sich scheinbar eine Stunde vor Aufzeichnung noch schnell bei Wikipedia informiert haben.
Diese Verhalten verärgert mich von Tag zu Tag mehr, auch weil ein solches Nachhinken mangelnde Haltung erkennen lässt. Mangelnde Haltung, das trifft auch auf die deutsche Politik zu. Während David Cameron, englischer Premier – zugegeben auch etwas verspätet, aber zumindest mit Nachdruck – sich bereits gestern Vormittag geäußert hat, brauchte die Bundesregierung tatsächlich bis heute Vormittag, um ein Statement gemeinsam mit den anderen EU-Staaten zu veröffentlichen. Was sagt uns das denn über die Positionierung der europäischen Außenpolitik? Timothy Garton Ash hat im Guardian einen sehr schönen Kommentar dazu verfasst. Lieber Westen, überlegt euch was!

Positives gibt es von kleineren, unabhängigen Publikationen zu vermelden. So hat die aktuelle Ausgabe von Jungle World ein sehr schönes Cover und Themenheft hinbekommen. Auch das Magazin Zenith sowie natürlich Qantara von der Deutschen Welle sind hier unbedingt zu nennen.  

Mittwoch, 2. Februar 2011

Und live von den Protesten

Die tolle ägyptische Schriftstellerin Mansoura Ez-Eldin lebt und arbeitet in Cairo, und dort hat auch sie an den Protesten teilgenommen. Was sie erlebt hat, schreibt sie in der New York Times.

Mündig kommt von Mund - wenn ein Volk nicht länger schweigt

In einem Essay im aktuellen Amnesty International Journal schreibt die wunderbare Schriftstellerin Marica Bodrozic über den Zusammenhang von Sprache und dem Kampf um Freiheit. Ein Zusammenhang, den man in den letzten Tagen anhand der Ereignisse in Ägypten geradezu lehrbuchhaft miterleben konnte.
Sprache, so schreibt Bodrozic, gibt den Unterdrückten die Gelegenheit, „ihre Gedanken auf die Möglichkeit der Freiheit auszurichten.“ Genau das geschieht zur Zeit auf den Straßen von Cairo. Die Hemmschwelle des Denken- und Artikulieren-dürfens ist gefallen, weil es andere vorgemacht haben; die anderen, das sind die unmittelbaren Nachbarn, die, die mitunter dieselbe Sprache sprechen.
Chöre wie „Al Shaab yurid tagheer el nizam“ (Das Volk will eine Veränderung des Systems) schallen zur Zeit laut durch den gesamten Nahen Osten.
Einfache Sprache, verständliche Sprache, Worte, die eine Wut und ein Verlangen und eine Sehnsucht artikulieren, die sich lange angestaut hat.
Was passiert, wenn menschliche Gewalt nicht mehr gegen das Sprachrohr der Tausenden ankommt, konnte man gestern sehen, als Hosni Mubarak zum zweiten Mal seit Beginn der Proteste vor die Kameras des nationalen Fernsehsenders trat und eine weitere Rede hielt, die noch zynischer, noch herablassender in ihrer Wortwahl daher kam als die erste am vergangenen Freitag.
Mubarak spricht langsam, bedächtig, wie ein enttäuschter Vater, der seine Kinder rügt, dass sie sein Auto dreckig gemacht haben. Er spricht davon, wie er nie darum gebeten hat, Präsident zu werden, wie er immer versucht hat, im besten Interesse seines Volkes zu handeln. Er sagt, er werde nicht mehr zur Präsidentschaftswahl antreten, werde Gesetzesreformen einleiten. Lippenbekenntnisse und Hinhaltetaktik, sagt ElBaradei kurz nach der Rede im CNN-Interview.
Hat Mubarak wirklich gehofft, ein Volk so von den Straßen zu scheuchen? Ein Volk, das seit Tagen seinen unmittelbaren Rückzug fordert, mit mehr als eindeutigen Gesten?
Schon während der Übertragung der Rede pfiffen die Demonstranten, warfen Schuhe auf die Übertragungsleinwände und machten ihrem Ärger einmal mehr mit Worten Luft: „Behandle uns nicht wie kleine Kinder!“ - Da hat wohl jemand unterschätzt, wie leicht seine Rhetorik zu durchschauen ist von denjenigen, die das Wort „Freiheit“ erst einmal laut gedacht haben.
Die nächste Konsequenz ist nun heute, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Unter dem Schleier vermeintlich zurück kehrender Normalität – das Internet und auch die Telefonleitungen scheinen über weite Strecken wieder zu funktionieren, die Ausgehsperre wurde gelockert – schickt Mubarak bezahlte Schergen auf die Straßen, vermeintliche Befürworter des Regimes, die mit Gegenparolen, aber auch Waffen versuchen, der neu gefundenen Artikulationsfreude der Ägypter zu begegnen. Es bleibt zu hoffen – und ich glaube ganz fest daran – dass die friedlichen Rufe nach Freiheit und Veränderung sich nicht zum Schweigen bringen lassen, und dass auch dieser neue Versuch nur mit noch lauteren Rufen quittiert wird.
Darüber, welche Schwierigkeiten die westlichen Mächte mit diesem freiheitlichen Sprachduktus haben, und warum sie langsam aber sicher anfangen sollten, die Wörterbücher zu wälzen, bald mehr!

Dienstag, 1. Februar 2011

Für ein Volk, das aufsteht. Für ein Volk, das erwachsen werden will.

Auch wenn Fairouz hier Palästina besingt - der Text gilt auch für Cairo, und für ganz Ägypten.

Acht Tage - Lang Lebe Masr al Azheem!!

Eine ganze Woche ist seit den letzten Blogeinträgen vergangen, eine ganze Woche, in der so vieles, und gleichzeitig viel zu wenig passiert ist. Seit acht Tagen verbringe ich jede freie Minute vor dem Computer und verfolge über verschiedene Kanäle die Situation in Cairo. Seit acht Tagen wechseln sich Hoffnung, Aufregung und die Furcht vor dem, was kommen mag in Ägypten und im gesamten Nahen Osten. Seit acht Tagen versuche ich Freunde in Cairo zu erreichen, und kaum jemand antwortet. Von anderen Freunden weiß ich, dass sie sich mitten unter den tausenden von Menschen befinden und miterleben, wie Geschichte geschrieben wird. Neid einerseits und viel Bewunderung, aber auch Sorge. Natürlich.
Was zur Zeit in Ägypten passiert, übersteigt meine kühnsten Vorstellungen. Vor knapp 9 Monaten noch war ich dort, habe einige Monate dort gelebt, bin jeden Tag spazieren gegangen dort, wo sich heute zwei Millionen Menschen um Panzer scharen, am Midan at-Tahrir, dem Platz der Befreieung. Ein Platz, der mitnichten diesen Namen verdient hat – Platz. Bis jetzt. Bis jetzt war es ein riesiger Kreisverkehr, tagtäglich verstopft von hunderten von Autos. Und jetzt – ein Platz, ein Ort der Versammlung, für hunderte, tausende Menschen.
Die deutsche Presse und die deutschen Medien im allgemeinen haben bei der Berichterstattung der letzten Tage nicht gerade eine Glanzleistung hingelegt. Viel zu spät, viel zu langsam, über weite Strecken nur marginal bis gar nicht informierte Korrespondenten. Kaum eine der Einschätzungen in der letzten Woche ging über vage Aussagen wie „Man kann nicht genau sagen, was jetzt passieren wird“ hinaus. Kein einziger deutscher Sender war live dabei, als Hosni Mubarak am letzten Freitag seine lang erwartete (und dann so zynisch klingende) Rede gehalten hat. Wer das sehen wollte, musste auf den live stream von CNN zurück greifen. Wer informiert sein will hierzulande, griff und greift auf englische und internationale Medien zurück. Al Jazeera streamt nach wie vor live aus Cairo, der britische Guardian hat seit den ersten Stunden des Protests einen hervorragenden Live-Blog eingerichtet, der Informationen aus verschiedensten Quellen zusammen trägt und aufarbeitet. Journalisten vom Guardian sind unter den Demonstranten, liefern o-Töne. Mohamed ElBaradei, einer der größten Hoffnungsträger in Ägypten zur Zeit, gibt sein erstes und exklusives Interview dem wunderbaren Robert Fisk des britischen Indipendent.
Man fragt sich – wo sind die deutschen Medien? Wo die deutsche Außenpolitik? Man sieht keinerlei Haltung, nur Zögern. Woran liegt das?
Das einzige Thema, was sowohl deutsche Politik wie Medien gleichermaßen intensiv aufzugreifen scheinen, ist das Thema „Muslimbrüderschaft“. In der Berichterstattung wird die Angst geschürt, diese Proteste könnten sich ganz leicht in eine Islamische Revolution verwandeln, und die Muslimbrüder warteten nur darauf, die Herrschaft über Ägypten zu übernehmen. All die Bilder, Berichte von Menschen vor Ort und Einschätzungen internationaler Experten sprechen jedoch dagegen. Es heißt, sobald religiöse Parolen in der Menge gerufen werden, bringe man sie zum Schweigen. Die Menschen wollen Freiheit und Demokratie, und sie scheinen sehr genau zu wissen, was das ist. Sie brauchen nicht uns, den arroganten Westen, dem vor Angst schon die Knie schlottern, weil er fürchtet, die „Wilden“ könnten Demokratie mit religiöser Autokratie verwechseln.
Lediglich Stefan Weidner zeichnet sich in seinem Text im aktuellen Qantara Magazin einmal mehr als einer der klügsten und kenntnisreichsten Beobachter des Nahen Ostens aus.
Ich werde weiterhin den Menschen in meinem geliebten Land dabei zusehen, wie sie um ihre Freiheit kämpfen, werde hoffen und mir wünschen, dass dies nicht ein zweiter Iran, ein zweiter Libanon wird, dass Mubarak einsieht, dass seine Zeit vorbei ist und dass dieses starke, stolze und mutige Volk in freien und gerechten Wahlen einen Präsidenten und eine Regierung wählen kann, die seiner würdig sind und es in eine bessere Zeit führt.
Und ich werde weiter hoffen und mir wünschen, dass nicht mehr viel Zeit vergeht, bis ich zurück fahren und wieder über einen mit Autos verstopften Midan at-Tahrir spazieren und mich mit den Menschen in Zamalek, Mohandessin und Agouza unterhalten und die Geschichten von einer erfolgreichen Revolution hören kann.