Mittwoch, 11. Januar 2012

Neuer Geist, alte Flaschen

Was Weihnachtsfeiern für den Dezember, sind Neujahrsveranstaltungen für den Januar. Und als mir die Einladung zum Neujahrsempfang der Deutsch-Arabischen Gesellschaft ins Haus flattert, merke ich auch gleich auf - das Programm kündigt neben den üblichen Grußworten, Musikdarbietungen und Gutmenschentum auch einen Vortrag von Rachid Al-Ganouchi, dem Vorsitzenden der El-Nahda Partei, die in Tunesien kürzlich mit überwältigender Mehrheit die Wahl gewann und die als islamistische Partei verschrien ist. Ich bin interessiert, melde mich zusammen mit zwei Freundinnen an.

Schon als wir den Ort des Geschehens, den Französischen Dom am Berliner Gendarmenmarkt betreten, beschleicht uns ein leicht beklemmendes Gefühl. "Ich fühle mich sehr bürgerlich", raunt mir meine Begleitung ins Ohr. Viele sehr gediegene Menschen in Anzügen und Hosenanzügen sitzen um uns herum, wir ziehen den Altersdurchschnitt arg nach unten.

Es folgen Grußwort um Grußwort, und immer wieder sagt jemand "Arabien", "Orient"und anderen Orientalistenquatsch. Es wird der freie, demokratische Westen besungen und dem nun "endlich" auf dem rechten Wege folgenden "Arabien" ein Wort des "deutschen Revolutionsdichters Schiller" mit auf den Weg gegeben. "Und das in einem Land, wo gerade mehrere rassistisch motivierte Morde vertuscht worden sind", raunt meine Begleitung mir wieder ins Ohr.

Dann schon die große Enttäuschung: Rachid El-Ganouchi hat die Teilnahme an der Veranstaltung abgesagt. Mist. Der Grund, warum wir hier sitzen. Hmpf.

Es erklingt ein Flügel und eine wirklich gute Sopranistin gibt ein Mozartlied zum Besten. Mozart? Na gut, meinetwegen ... Während sie noch singt, lesen wir mal das Programmheft etwas genauer. Und reißen irgendwo zwischen ungläubig und amüsiert die Augen weit auf. Von einem "Jahrhundertereignis", der "Volkserhebung in Arabien" ist da die Rede, die "alle vorgefassten Meinungen über angebliche Lethargie und Demokratieunfähigkeit" widerlegt. Und dann kommt es: "Der Geist ist aus der Flasche!" -- Ja, das steht wirklich da! Flasche, Geist, Orient - der Zusammenhang ist klar, ne? Orientalismus pur, im Jahr 2012, post "Widerlegung vorgefertigter Meinungen", und das im Rahmen einer Veranstaltung von Menschen, die es doch eigentlich besser wissen sollten ...

Nun denn. Wir beschließen, in der Pause zu gehen, wollen aber noch die Podiumsdiskussion mit Peter Scholl-Latour und Ulrich Kienzle abwarten. Moderiert von Daniel Gerlach. Ja. Richtig. Auf der Bühne sitzen 3 weiße Männer, die die politischen Umwälzungen im Nahen Osten diskutieren. Keine Frau, kein Mensch aus einem arabischen Land. Drei. Weiße. Männer.

Zu Scholl-Latour kann man geteilter Meinung sein, das sehe ich ein; aber ich gehöre zu den Menschen, die irgendwie mit ihm aufgewachsen sind, im Arbeitszimmer meines Vaters reihen sich seine Bücher aneinander, und man muss dem heute immerhin fast 90-Jährigen doch mindestens als Verdienst zugute halten, dass er den Deutschen die Welt erklärt hat, als die meisten höchstens mal mit dem Auto nach Italien gefahren sind. Vor einer Weile habe ich mal ein Interview gelesen, in dem er sagte, er habe zwei Jahre zuvor, da war er 82, das letzte Land auf der Welt bereist, in dem er noch nicht gewesen war. Der Mann war in jedem einzelnen Land auf der Welt ... Ich kann nicht anders, so was beeindruckt mich. Auch wenn er nach heutigem akademischen Verständnis wahrscheinlich schon als klassischer Orientalist eingestuft werden müsste. Ulrich Kienzle hingegen, das wusste ich auch vorher schon, hat wirklich Ahnung, betont immer wieder, wie wichtig Differenzierung vor allem im Vokabular ist.

Die Diskussion bringt uns allen inhaltlich nicht viel, wissen wir alles schon, was Neues haben sie uns nicht erzählt. Gern hätte ich Herrn Kienzle gefragt, wie viel Widerstand er geleistet hat, als sein Verlag sein neues Buch "Abschied aus 1001 Nacht" genannt hat - wo ihm doch Differenzierung so wichtig ist.

Wir gehen. "Ja, das war doch mal erfrischend, so viel Mainstreamorientalismus!", sagt jemand auf dem Weg zur U-Bahn.
Fazit: Der Geist ist aus der Flasche, wenn 3 weiße Männer über Arabien diskutieren!

5 Kommentare:

  1. Wer hat da was verpasst? Im Podium kam doch - zumindest quantitativ reichlich - der Enahda-Vertreter zu Wort, oder?
    Übrigens liegt es wohl an dem Engagement der jungen Leute selbst... und wenn ihr Euch gestern umgeschaut hättet, wärt ihr auch ins Gespräch mit den engagierten und (relativ) jungen Leuten von zenith oder www.alsharq.de ins Gespräch gekommen.

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    1. Aber es ist doch umso schlimmer, dass wenn Leute von alsharq, (ich lese den blog sehr gern und finde ihn auch sehr gut!) involviert sind, vom "Geist aus der Flasche" die Rede sein darf! Das ist ja nun (was interessanterweise niemand aufgreift) mein Hauptkritikpunkt! Der real praktizierte Orientalismus!

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  2. Zufällig auf diesen Blog gestoßen, kurz mal quergelesen. Du kritisierst hier, dass auf dem Empfang von Arabien gesprochen wurdest und setzt das Wort selber in Anführungsstriche. An anderer Stelle in diesem Blog sprichst du aber selber von der arabischen Welt und berichtest von arabischem Blut in deinen Adern. Wie ist das zu verstehen?

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    1. Danke deiner Nachfrage! Es geht mir darum, dass es kein "Arabien" als geographisches Gebiet gibt. Der Begriff gehört zu den Orientalisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die man eben nach heutigem wissenschaftlichen Verständnis tunlichst nicht mehr heranziehen sollte. Dass ich von "arabischem Blut" spreche, hat eben damit zu tun, dass es schlicht saudi-arabisches Blut ist. Das Land gibt es, im Gegensatz zu "Arabien".

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  3. Peter Scholl Latour ist schon ein verdammt harter Knochen.

    Ein echter Mann, einer der letzten seiner Art.

    Und er sagt was er denkt.

    Ein wahrer Haudegen.

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